Mein Freund, der Feind

Ohne Feindbild ist alles doof. Denn dann sitzt unser gemäß staatlich anerkannter Selbsteinschätzung chronisch unterforderter und deshalb gelangweilter Geist in unserem Dickschädel so träge rum wie eine tumbgähnende matschige Tomate in einem Eierbecher. Wer mag, nimmt sich Lebensmittelfarbe und pinselt ein grinsendes Gesicht drauf, wer nicht mag, pinselt ein grimmiges Gesicht drauf und wer gar nicht mehr mag, sucht den Golfschläger, der das welke Fleisch mit einem gezielten Schlag aus der Schwerkraftmisere hinausbefördert.

Wer sich über die Jahre noch nicht zuviel Farbe in die Augen geschmiert hat, findet nach kurzer Aufmerksamkeit auch schnell einen dankbaren Bösewicht für diese ehrenamtliche Aufgabe.

Was begleitet uns unser ganzes Leben und wirft sich walrossschwer in die Waagschale der positiven Emotionen, wenn wir im Säuglingsalter mit deutlich zu inkompatiblen Kommunikationsmöglichkeiten merken, dass etwas nicht so läuft, wie es laufen sollte?

Richtig: Nichts.

Hatten wir nicht unter Einsatz der letzten verfügbaren Kräfte unsere Hungersnot in die Welt hinausgebrüllt und Mutti hat mal wieder nur Nichts bemerkt?

In der Schulzeit hat uns Nichts dazu gebracht, pünktlich, aufmerksam und so fleißig wie die japanische Austauschschülerin zu sein.

In der Pubertät haben wir verzweifelt in der Unterwäscheabteilung nach etwas gesucht, was auch Nichts halten kann und als unser erster Verehrer mit pickligem Gesicht und einem Esgibtkeinengottmetallmonster (lange vor den Zeiten der unsichtbaren oder farblich angepassten Zahnspangen) im Mund vor uns stand, hat uns Nichts heldenhaft aus der Situation gerettet!

Nichts macht seine Arbeit schon wirklich gut, wäre aber nur halb so erfolgreich ohne seinen Busenfreund „Niemand“:

Niemand hat uns schon oft dazu überredet, nach dem zweiten Glas Wein das dritte, vierte und fünfte alkoholische Getränk zu verweigern und stattdessen auf Saftschorlenbasis tiefschürfende Diskussionen zu führen.

Niemand ist auch dafür verantwortlich, dass wir uns heutzutage wundern, für Wohnung, Schuhe und Urlaub täglich Dinge für andere Menschen tun zu müssen. Denn Niemand hatte uns eigentlich mal versprochen, dass Geldverdienen leicht ist. Wir haben tatsächlich Niemandem geglaubt.

Nichts und Niemand sind zu einem Siegerteam zusammengewachsen und katapultieren uns dank dem Zusammenspiel diverser Trägheits- Ballistik- und anderer Physikgesetze mit einem gezielten Schlag durch die Lüfte.

Höhe, Geschindigkeit und Aufprallort liegen selbstverständlich auch nach dem erfolgreichen Casting unserer Feindbilder nicht in unserer Hand.

Aber es hat ja auch keiner behauptet, dass wir Selbstbestimmung wollen.

Wir wollen bloß jemanden, dem wir die Schuld in die Schuhe schieben können.

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Nichts und Niemand

Nur heute im kombinierten Vorteilspack für den Preis von einem!

Erhältlich in jedem gutsortierten Schizophrenieladen.

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Eine Antwort zu Mein Freund, der Feind

  1. cade schreibt:

    „Freedom feels like a first mistake.“

    netter Beitrag. Einer der teureren aus dem Schizophrenieladen.

    LG
    cade.

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